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Hest 21.

Das Buch für Alle.

501

„Ruhe, Steinfeld, Rühe, sage ich!" rief er in ent-
schiedenem Tone. „Gehen Sie in's Bett, morgen denken
Sie anders über die Sache!"
Er griff nach der Klingel und bedeutete dein herbei-
eilenden Kellner, den etwas schwer Gehenden auf fein
Zimmer zu geleiten.
„Dieser Steinfeld ist und bleibt doch ein ungeschlach-
ter Patron!" rief Herr v. Bergen mit verächtlich zucken-
den Lippen, als Steinfeld brummend mit dem Kellner
den Saal verlassen hatte.
„Wahrhaftig," stimmte Baron Hohnheim gähnend zu,
„ich fange fast schon an, mich feiner Gesellschaft zu
schämen —"
„So lassen Sie uns reisen, ich dächte, wir hätten
lange genug die Gastfreundschaft der Villa Steinfeld ge-
nossen!"
Baron Hohnhcim warf Herrn v. Bergen einen raschen
fragenden Blick zu.
„6Imouu ü 8on goüt!" entgegnete er dann nach-
lässig. — „Reisen Sie, lieber Bergen, ich habe noch Lust
zu bleiben. Steinfeld hat so gute Weine, so gute Ci-
garren —"

„Und eine schöne Frau," setzte Herr v. Bergen mit
zusammengezogenen Brauen hinzu, „der Sie mit Em-
pressement die Cour machen."
Baron Hohnheim's Stirne röthete sich.
„Sie sind indiskret, Bergen —!"
„Ich spreche nur aus, was in ganz Rothenburg kein
Geheimniß mehr ist. Sie haben eine Leidenschaft für
Frau Steinfeld gefaßt — Hohnheim, leugnen Sie es
nicht!"
Baron Hohnheim begegnete dein ernst auf ihn ge-
richteten Blicke Herrn v. Bergend mit erzwungener
Ruhe.
„Ich leugne nichts!" entgegnete er kühl.
„Nun, dann lassen Sie sich warnen!" rief Herr
v. Bergen erregt. „Trotz unserer langjährigen Freund-
schaft erkläre ich hicmit entschieden, daß ich einen solchen
Mißbrauch der Gastfreundschaft von Ihnen nie dulden
werde. — Und dann bedenken Sie auch das: Die Frau,
die Ihre Leidenschaft erregt, ist ebenso beklagenswerth,
als liebenswürdig. Ihr Unglück allein schon sollte sie
vor jeder unreinen Begierde schützen!"
Auf Baron Hohnheim's Antlitz hatten Röthe und

Blässe gewechselt, er suchte sich indessen zu fassen und
dem ihm höchst unangenehmen Gespräch eine scherzhafte
Wendung zu geben.
„Seit wann sind Sie denn so furchtbar moralisch
geworden, Bergen?" entgegnete er spöttelnd. „Ich kenne
Sie ja gar nicht wieder. Ich glaube wahrhaftig, an
Ihnen ist ein Prediger verloren gegangen."
„Ich bitte Sie, Hohnheim, lassen Sie den Spott."
„Und ich bitte Sie, echauffiren Sie sich nicht unnöthig,
Bester. Es ist durchaus keine Gefahr im Verzüge —
leider — sage ich; denn ich bete an, ohne auch nur die
geringste Hoffnung auf Erhörung zu haben. Also seien
Sie ohne Sorge und schlafen Sie ruhig darüber!"
Er erhob sich mit müdem Blick und winkte dem
Kellner, ihn: aus sein Zimmer zu leuchten. Herr v.
Bergen blieb noch zurück. Mit einem kühlen „Gute
Nacht!" trennten sich Beide.

In Rothenburg war man gewöhnlich früh auf. Richt
allein die Vögel musieirten schon mit Sonnenaufgang
in der schattigen, jetzt mit einem duftigen Blumcnsegcn


bedeckten Lindenallee der Hauptstraße, sondern auch im
Kurgartcn fanden alle Morgen Frühkonzerte statt, bei
deren Klängen die Badegäste in den weiten, wohlgepfleg-
ten Anlagen des Etablissements ans und ab promenirten.
Einige hundert Schritte vom Kurgarten entfernt, auf
einer kleinen Anhöhe seitwärts von der Straße, lag das
Haus des Doktors. Es war ein zweistöckiges Gebäude
mit breiten Fenstcrpfeileru ohne äußeren Schmuck, aber
sauber abgepntzt und von einein hübschen und ausgedehn-
ten Garten umgeben.
Die Frau Doktorin, die gestern auf einer Reunion
im Kurhause gewesen und weit über die zwölfte Stunde
hinaus getanzt hatte, war von der Musik draußen nicht
erweckt worden. Schon stand die Sonne hoch anr Him-
mel und noch immer lag sie tief in die Kissen ihres
Bettes gedrückt in festem Schlafe. Da öffnete sich leise
die Thüre ihres Schlafzimmers und ein lockiger Knaben-
kopf schob sich eilfertig hinein.
„Mama, Mama!"
Die Maina fuhr aus ihren Träumen auf.
„Wie unartig, Erich, mich so zu erschrecken!" Sie
blickte den Knaben mit unwilliger Miene an.

Tcr große Salon des amerikanisch«! DampsschisscS „Bristol". (S 4gg.)
„Maina, der Onkel aus Amerika ist eben ange-
kommen!"
Die Dame sank gähnend wieder in ihre Kissen zurück.
„So? — Nun, sage dem Papa, ich sei unwohl und
bäte daher, mich zu entschuldigen. Fräulein Alice wird
so gut sein, meine Stelle zu vertreten!"
Damit machte sie es sich im Bette wieder bequem
und schloß die Augen. Der Knabe eilte davon.
Nuten in dem großen Zimmer des Erdgeschosses, das
früher des Vaters Studirzimmer gewesen und jetzt das
des Sohnes war, saßen während dessen die beiden Brüder,
tief bewegt von der Freude des Wiedersehens, einander
gegenüber. Zwölf Jahre waren verflossen, seit sie sich
von einander getrennt — als Jünglinge waren sie geschie-
den, als gereiste Männer sahen sie sich wieder — äußer-
lich und innerlich verändert.
„Du kommst, wcun auch erwartet, so doch über-
raschend!" sagte der Doktor, nachdem die erste Begrüßung
vorüber, „und niußt daher verzeihen, wenn der Empfang
nicht ein solcher ist, wie ich ihn gewünscht und mir vor-
genommen hatte. Wir waren gestern spät auf einer Reu-
nion — der Arzt darf da nicht fehlen, weißt Du —

ich glaube fast," setzte er mit etwas verlegener Miene
hinzu, „meine Frau schläft noch!"
„Bitte, derangire Deine Frau meinetwegen durchaus
nicht," entgegnete Richard. „Es sollte mir leid thun,
wenn ich gleich bei meiner Ankunft als Störenfried in
Deine Familie hinein fiele!"
In diesem Augenblicke wurde die Thüre aufgestoßen
und Erich sprang in ungestümer Kinderart in's Zimmer.
Er hatte den Onkel schon bei seiner Ankunft begrüßt
und schmiegte sich jetzt vertraulich an sein Knie.
„Nun?" fragte der Vater, „hast Du der Mama des
Onkels Ankunft gemeldet?"
Der Knabe nickte:
„Ja Wohl, aber Mama schläft noch und läßt bitten,
sie beim Frühstück zu entschuldigen, sie wäre nicht ganz
Wohl!"
Eine Helle Röthe stieg in des Doktors Antlitz.
„Geh' noch einmal hinauf, Erich, und sage der Mama,
ich ließe sie dringend bitten, jetzt aufzustehen, ich wünsche
heute ihre Gegenwart beim Frühstück!"
Erich gehorchte zögernd, an der Thüre wandte er
sich noch einmal um:
 
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